Wer sich nicht aufopfert, erwartet auch nichts

Wer sich nicht aufopfert, erwartet auch nichts

Warum opfern wir uns ständig für andere auf? Warum ist gegenseitige Aufopferung für uns Menschen so normal, dass wir sie voneinander erwarten?

Gerade im Job und in Beziehungen sind Aufopferung und Erwartungshaltung  an der Tagesordnung. Wir geben alles. Springen ein, helfen hier und trösten dort. Wir werfen mit Zeit und Geld um uns, um die Erwartungen anderer zu erfüllen. Aufopferung passiert dann, wenn wir selbst dabei auf der Strecke bleiben. Wenn wir etwas abgeben, was wir lieber für uns selbst behalten hätten. Energie, Zeit, Aufmerksamkeit, Liebe – whatever. Schneiden wir uns etwas aus den eigenen Rippen, erwarten wir natürlich auch, dass dies honoriert wird und der andere sich ebenso für uns aufopfern würde. Und damit haben wir den Salat. Erfüllt der Andere unsere Erwartungen nicht, fühlen wir uns verletzt, benachteiligt und ungerecht behandelt.

Aus dieser Spirale möchte ich aussteigen. Ich möchte genau wissen, wann ich mich aufopfere und wann ich aus einem Überfluss heraus gebe.

Aufopferung

Ich empfinde das Gefühl der Aufopferung, wenn das, was ich für die andere Person tue, Gefühle wie Ärger, Stress, Schuld, Wut oder Traurigkeit in mir auslösen. Oder wenn ich etwas abgebe, dass ich lieber für mich selbst behalten hätte. Bei mir sind es oft Energie und Aufmerksamkeit die ich an andere „abgebe“, obwohl ich sie gerade für mein eigenes Ding benötige. Sobald ich mich aufopfere, gehe ich sofort in eine Erwartungshaltung. Wird diese nicht erfüllt, komme ich mir vor wie ein Idiot, werde wütend oder traurig.  „Ich gebe / mache / tue und der andere denkt einfach nur an sich“.

Beispiele für Aufopferung

  • Ich gebe für ein Projekt Vollgas und mache etliche Überstunden, während mein Team nur die nötigsten Pflichten erfüllt und um fünf den Stift fallen lässt. Statt Teamarbeit und Kommunikation zu fördern gehe ich in die Leistung und fordere, dass die anderen es mir gleichtun.
  • Ich nehme mir stundenlang Zeit und gebe all meine Energie, um einen guten Freund aufzumuntern, während er über das Leben jammert. Als ich merke, dass er keinen meiner Ratschläge beherzigt hat und sich weiter in seinem Dreck suhlt, bin ich wütend oder enttäuscht. „Das bringt doch eh nix bei dem.“
  • Ich übernehme den gesamten Haushalt für meinen auf Vollzeit arbeitenden Mann, obwohl ich ebenfalls neun Stunden am Tag in der Arbeit bin und erwarte dann von ihm, dass er anfallende Reparaturen im Haus sofort erledigt. Immerhin tue ich ja mehr für das gemeinsame Nest.
  • Ich helfe einem Freund beim Umzug und bin enttäuscht, wenn er mir keine Hilfe für meinen Umzug anbietet.
  • Ich opfere mich für einen Großkunden auf und schiebe Überstunden und Nachtschichten, während der Kunde eine äußerst schlechte Zahlungsmoral an den Tag legt.

Aus dem Überfluss heraus geben

Wenn ich aus dem Überfluss heraus gebe, ist es mir völlig wurscht, ob ich eine Reaktion, Gegenleistung oder Anerkennung für mein Geben erhalte. Ich bin richtig hilfreich für andere Menschen, wenn ich zufrieden, ausgeglichen und nicht chronisch überfordert bin. Treffe ich dann auf jemanden, dem es schlecht geht, teile ich mein Glück. Ich teile meine Energie, schenke Aufmerksamkeit und nehme mir Zeit. Und dabei fühle ich mich richtig gut! Ich habe das Gefühl, etwas zurückzugeben. Das fühlt sich viel besser an, als jede Gegenleistung oder Anerkennung. Wenn ich aus dem Überfluss heraus gebe, gebe ich nicht mehr, um Anerkennung zu erlangen. Ich erfülle die Erwartungen anderer, weil ich es gerne tue. Weil ich Energie und Zeit habe. Weil ich mich einsetzen möchte. Damit habe ich auch mehr Spaß in meinem Job. Meine Vorgesetzten oder Kunden haben mehr Spaß an mir. Logischerweise folgt daraufhin mehr Erfolg.

Wie könnten die Situationen der Aufopferung aussehen, wenn ich aus dem Überfluss heraus geben kann?

  • Ich stecke meine Energie in die Kommunikation mit meinem Team und versuche die Aufgaben so zu verteilen, dass jeder seine Leidenschaften und Stärken ausspielen kann. Ich bin entspannt und klar. Ich erkenne sofort, was ich brauche, um meine Ziele zu erreichen.
  • Ich höre meinem jammernden Freund zu und versuche, seine momentane Sicht auf die Welt anzuerkennen. Ich spüre, dass er einen Zuhörer braucht und halte mich mit Ratschlägen zurück. Vielleicht lerne ich etwas?
  • Mein Haus halte ich sauber, weil ich es liebe, wenn es sauber ist. Die Socken meines Mannes lasse ich liegen. Vielleicht braucht er sie ja noch?
  • Beim Umzug meines Freundes helfe ich, weil ich Bock auf nette Leute, das versprochene Bier und gute Mucke habe. Ich habe Spaß und erwarte keine Gegenleistung.
  • Den Kunden mit der schlechten Zahlungsmoral bitte ich um ein Gespräch und sage ihm mit netten Worten, dass ich keine Bank bin.

Die Aufgabe

Um möglichst nur noch aus dem Überfluss heraus zu geben, muss ich also folgendes tun.
1. Die eigenen Gedanken und Gefühle checken, damit ich merke, wann ich mich aufopfere
2. Wenn ich mich aufopfere: NEIN sagen

Nein ist oft die liebevollste Antwort, die ich geben kann. Wenn ich mich nicht aufopfere, hat der andere definitiv mehr Freude mit mir! Denn wer sich nicht aufopfert, erwartet nichts. Es ist schön, miteinander zu sein, ohne zu erwarten. Es tut meinen Beziehungen gut, wenn ich nichts von ihnen erwarte. Es tut meinem Job gut, nichts zu erwarten (außer Cash) und aus der eigenen Kraft heraus zu agieren.

Ziehe ich meine eigenen Grenzen, werde ich auch verständnisvoller für die Grenzen anderer Menschen. Ich sage nein, wenn es mir zu viel wird. Ich akzeptiere ein nein, wenn es dem anderen zu viel wird. Das ist eine offene und lebendige Art miteinander zu sein und sich dabei selbst ganz nah zu bleiben. Ich gebe mir die Zeit, die Energie, die Aufmerksamkeit, die Liebe, die ich brauche und gebe erst dann, wenn meine Speicher voll sind.  Ich darf egoistisch sein. Ich darf mich für wichtiger halten als die Belange anderer. Ich darf nein sagen in dem guten Gewissen, dass dies die liebevollste Antwort ist, die ich geben kann.

 

2 thoughts on “Wer sich nicht aufopfert, erwartet auch nichts

  1. Liebe Sophia,
    Du hast einen aussergewöhnlichen Schreibstil.
    Verspielt und phantasievoll, klar, ehrlich, energisch, mitfühlend, aufzeigend ohne belehren zu wollen, mitreissend und so vieles mehr.
    Du packst die grossen Lebensthemen mit Deinen 30 Jahren mit soviel Tiefe und gleichzeitiger Phantasie an, esotherische Schnörkel weglassend – es ist wirklich ein Genuss Dich zu lesen.
    Habe selten so eine in sich stimmige Präsentation einer Website gesehen.
    Vielen lieben Dank dafür.
    Ursula Saxton

    1. Liebe Ursula,

      das war gerade mit Abstand das schönste Kompliment, dass ich für meine Schreiberei je bekommen habe. Ich danke dir von ganzem Herzen!! Wenn ich mir ein Kompliment hätte backen können, wäre es das gewesen. You made my day! DANKE

      Sophia

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