Vom Entwischen der Jugendlichkeit
Vor kurzem wurde ich 30 Jahre alt und muss zugeben, dass ich mich nicht besonders darauf gefreut habe, die Zwanziger zu verlassen. Machen wir uns nichts vor, die Zwanziger sind eine verdammt geile Zeit. Ungezwungen den eigenen Gelüsten folgen, den Kopf verlieren, das Herz entdecken, von einem Try zum nächsten Fail. Das „Sie ist noch jung, sie lernt´s noch!“-Prädikat nutzend durchs Leben tänzeln und dem Ego die große Bühne lassen.
Das ist jedoch nicht der Punkt, der mir das Älterwerden schwer macht. Ich bin bereit, reife Entscheidungen zu treffen und dafür geradezustehen. Und ich bin bereit, mein Ego ab und zu von der Bühne runterzuziehen, um meinem Herz einen größeren Raum zu bieten.
Ich denke darüber nach, was mich daran beunruhigt, 30 zu sein.
Im Grunde komme ich immer wieder zu demselben Punkt. Das Einzige, was mir den Abschied von den Zwanzigern schwer macht, ist das Vergehen der Begehrlichkeit, die die Jugend auslöst.
Während die Models von Gucci und Prada gerade einmal volljährig sind, verneigt sich die Werbewelt vor einer Schar junger Fashion- und Beautyblogger, deren Dauerwerbesendungen ich keine drei Minuten anschauen kann, ohne dass mich das Gefühl von Fremdscham überwältigt. Statistiken von einer bekannten Online-Single-Plattform besagen, dass Männer, egal welchen Alters, hauptsächlich nach Frauen unter 30 Jahren suchen. TV-Weiberhelden wie Barney Stinson und Charlie Harper besitzen ein ganzes Sortiment an „Frauen-über-30“-Witzen. Im Ernst Leute, 30 ist ein Geburtstag, kein Verfallsdatum! Die Begehrlichkeit, die die Jugendlichkeit im Außen auslöst, wird dem Anschein nach von der 30 erschlagen. Plötzlich gibt es die nächste Generation wunderschöner junger Frauen, die die Aufmerksamkeit von Männern aller Altersklassen auf sich ziehen. Umso jünger, umso imposanter.
Blicke ich nach außen, fühlt es sich tatsächlich manchmal so an, als würde ich aus der begehrten Zielgruppe fallen.
Doch wenn ich nach innen blicke, sehe ich einen Garten, der gerade erst aufblüht.
Ich sehe mein erwachendes Bewusstsein für die Welt. Ich sehe mein stetig steigendes Interesse an Dingen außerhalb meines eigenen kleinen Universums. Mein Charakter ist vielfältiger geworden, ich erfinde ich mich selbst in verschiedenen Rollen und Facetten neu und bleibe dennoch – und das ist das Wunderbare – mehr ich selbst, als jemals zuvor. Das Chaos aus Ego und Gefühl und der Nebel der Unbewusstheit klärte sich mit jedem Jahr meiner Zwanziger mehr und mehr auf. Ein aufregendes und wahrscheinlich lebenslanges Spiel begann, in dem es darum geht, das Ego mit dem Herzen und dem Verstand zu verbinden. Meine Mutter hatte mir schon davon erzählt, als ich noch ein Teenager war. Ausgelacht hatte ich sie damals. Und als „Eso-Tante“ bezeichnet. Ich hatte eine der wunderbarsten Entdeckungen abgelehnt, die sich mir erst in den Zwanzigern erschließen sollte. Eben erst zur rechten Zeit…
So finde ich mitten im Vergehen meiner Jugendlichkeit einen Zugang zu mir. Kaum ist man in der Lage, die Jugendlichkeit als diese zu schätzen und nicht ständig darum zu kämpfen, ernst genommen zu werden, schon vergeht sie. That´s Life. Ich habe sie kaum gesehen und jetzt weine ich ihr hinterher. Das ist so zutiefst menschlich, dass ich darüber lachen muss.
Genaugenommen ändert sich gar nichts, weil ich nun 30 bin. Ich werde öfter nach Heirat und Kindern gefragt, falle möglicherweise aus dem Beuteschema einiger oberflächlicher Herren und muss mich mit dem Verfall meines Körpers anfreunden, wobei ich diesen schon seit einigen Jahre beobachte (wild Life!). Dafür lerne ich mich selbst kennen und entwickle eine wohltuende Gelassenheit bei gleichzeitig steigender Selbstsicherheit.
Aus der Gelassenheit und Selbstsicherheit entwickelt sich etwas Freches und Wildes in mir. Ich wage mich heraus, wage es, mich von Konventionen zu befreien, wage es, den Menschen einen unverfälschten Blick auf mich zu gewähren. Ich muss nichts beweisen. Ich allein bin Beweis genug. Herbert Grönemeyer sagte in einem seiner Songs:
„Wer nichts beweist, beweist schon verdammt viel“
Schon damals hatte dieser Satz eine große Anziehungskraft auf mich, doch erst jetzt kann ich ihn fühlen. Mir wird zunehmend unwichtiger, was andere Menschen über mich denken. Nicht weil mir die Menschen egal sind, sondern weil ich verstanden habe, dass das, was Menschen denken, in erster Linie mit ihnen selbst zu tun hat. Ich kann mich drehen und wenden wie ich will, mein Gegenüber wird sich immer ein eigenes Bild machen und dieses besteht zum Großteil aus ihm selbst. Das Verstehen dieser „Spiegelfunktion“ hat zu einer weisen und angenehmen Art geführt, wie mir die Meinung anderer am Arsch vorbei gehen kann. Wenn ich ohnehin nicht beeinflussen kann, wie andere Menschen mich sehen, wozu dann die Mühe? Ich beweise weniger, entdecke dafür aber, was mein Herz möchte.
Mein Herz ist wild und frech. Voll kindlicher Freude und Entdeckergeist. Ich komme mir selbst ganz nahe und verstehe, dass ich immer unabhängiger werde. Immer freier. Erwachsenwerden ist wunderbar.
Foto & Editing: Holger Gutt
Kamera: Hasselblad <3
Liebe Sophia,
Danke für den wunderschön reflektierten Artikel, der es so auf den Punkt bringt! Mit 30 kommt die grossartigste Zeit – sage ich rückblickend: alles, wirklich ALLES ist jetzt möglich:-)
HAPPY DAY -and a wonderful life 4u*
Hallo liebe Verena,
das Gefühl habe ich allerdings auch… Alles ist möglich! Es brennt richtig… <3
Liebe Sophia,
es fühlt sich an wie von mir geschrieben:)) echt wunderbar wie du deine Gefühle rüberbringst. Mir ging genau so als ich 30 wurde und mittlerweile bin ich schon 38, bis jetzt war es aber schönste Zeit meines Lebens. Nach Hause zu kommen, im Leben anzukommen ist das beste überhaupt.. und das Leben fängt gerade erst richtig an :))) und die schönheit des Körpers liegt nicht unbedingt im Körper, sondern im Augen und im Herzen, da bin ich mir sicher :)) egal was die ” oberflächlichen Herren” suchen:) das Alter und solche Wahnsinn ist nur unsere Konditionierung, nichts weiter.. danke für deine wunderbare und ehrliche Zeile 💜💜 Liebe Grüße Nina
Vielen Dank für deine lieben Worte, liebe Nina. Sehr aufbauend 😀 Ich habe auch das Gefühl, dass es jetzt erst richtig anfängt… Fühle mich wie in einer Achterbahn, kurz bevor es steil bergab geht… 😀