Wer bin ICH?

Ich kann mich noch sehr gut an den Moment erinnern, in dem ich zum ersten Mal begriff, dass ich nicht diejenige bin, die gerade denkt. Es war ein kurzer Augenblick, in dem ich mich von meinem Verstand ablöste. Ich begann, der Stimme zuzuhören, die mich ohne Unterlass zuquatscht. Wie es dazu kam? In einem Seminar bekam ich die wunderbare Aufgabe, mich Zuhause mit Zettel und Stift bewaffnet hinzusetzen, und für jeden Gedanken, der mir in den Kopf kam, einen Strich auf den Zettel zu setzen.

„Ich sollte mal wieder meine Oma anrufen“ – Strich. „Mein Handgelenk tut schon wieder weh“ – Strich. „Ich sollte mir endlich diese ergonomische Maus kaufen, damit ich mein Handgelenk beim Arbeiten schone“ – „War das jetzt eigentlich ein neuer Gedanke? Oder zählt es als der selbe, weil es das selbe Thema betraf? Hm. Egal.“ – Strich, Strich.

Ich hörte meinen eigenen Gedanken zum ersten Mal bewusst zu. Dieser kurze Augenblick, in dem mir klar wurde, dass ich gerade meinen eigenen Gedanken zuhörte, kam für mich, auch rückblickend betrachtet, einem Erwachen gleich.

Wenn ich meinen Gedanken zuhören kann, dann bin ich nicht meine Gedanken. Sonst könnte ich ihnen doch nicht zuhören!

Ich wäre eins mit meinen Gedanken, meinem Verstand. Doch es war, als würde eine weitere Person, eine weitere Sophia auftauchen, die sich über meinen eigenen Verstand erhebt und ihn beobachten kann. Ich wiederholte die Strich-Übung einige Male und begann allmählich, in kurzen Momenten meines Alltags die Position der beobachtenden Sophia einzunehmen. Manchmal dachte ich, dass ich mich nun auf einem sehr schmalen Grad zwischen Bewusstsein und Wahnsinn bewege. Es kam mir fast schon schizophren vor, den nun gab es zwei Sophias. Und wenn ich es genauer nehme, konnte ich vier Instanzen in mir entdecken, die was zu melden haben.

Mein Verstand, mein Herz, meine Seele und mein Bewusstsein, der „Beobachter“.

Und auch wenn die Seele ein nicht besonders redseliger Freund ist, so herrscht dennoch eine stetige Kommunikation zwischen drei der Instanzen. Die vierte Instanz, der Beobachter, sieht nur zu, ohne zu bewerten oder zu kommunizieren. Dies übernimmt wiederrum der Verstand für den Beobachter, der seine Schlüsse aus dem Beobachteten ziehen kann. Die Schlüsse, die mein Verstand aus dem Beobachteten gezogen hat, waren übrigens überaus schmerzhaft. Negative Gedanken. Ständig. Immer wieder dieselben. Sorgen, Angst, Wut. Viel zu wenig Liebe. Ich begann Diskussionen mit mir selbst. Wen wundert es, dass ich da nicht das Gefühl hatte, völlig verrückt zu werden?

Doch was ist nun die Wahrheit?

Meine absolute Killerfrage No. 1: Wer bin ICH? 

2 thoughts on “Wer bin ICH?

  1. Liebe Sophia,
    schmunzelnd beobachte ! 🙂 ich gerade mein Denken, welches anspringt und jetzt sofort diskutieren und belehren mag.

    Dein Text und die Wege darin finde ich sehr schön und fein. Ich kann gut folgen, das mag ich.

    Beim Lesen kam mir etwas: ob, wie und wenn ja wo ordnest Du den Instinkt ein? Vielleicht ist er Teilmenge in Einigem.
    Ich nutze gern 3 Instanzen/Werkzeuge/Intelligenzen (Verstand, Gefühl, Instinkt). Kommt aus dem Enneagramm.

    bewundernde Grüße Holger

    1. Danke lieber Holger, nun kann ich darüber nachdenken, wo ich den Instinkt einordne. Mein erster Gedanke war “im Verstand”, aber das war eben nur der erste. Das Enneagramm werde ich mir erst mal nicht durchlesen, damit ich mir die eigenen Gedanken nicht vorher schon zunichte mache 😀 Ich danke dir für deinen Input.

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